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Verrücktheit in drei Akten

von wanis


Erster Akt

Wieso gibt man eine Anzeige auf? Nie zuvor und nie nachher. "Weil man über eine Anzeige sowieso nichts vernünftiges finden kann" Nicht wahr? Aber man wird bald vierzig. Die Tore des Lebens fallen doch gleich zu. Oder man denkt, sie werden zufallen. Also nichts wie los. Text zusammenzimmern, Brief posten, Chiffre bezahlen. Das bisherige ruhige aber verdammt langweilige Leben soll flugs ein Ende haben. Es hatte. Der erste Brief kam am Samstag. Ich öffnete den Umschlag noch im Treppenhaus. Es fiel ein schwarz-weiss Foto auf die Treppenstufe. Ich stand zwischen zwei Stockwerken und starrte auf das Bild. Solche Frauen antworten auf Anzeigen? Solche? Mir lächelte ein hübsch-bedächtiges Gesicht mit zwei gossen Augen entgegen. Ich hing an diesen Augen bereits dort im Treppenhaus. Das kann doch alles nicht wahr sein. Eine einzige Anzeige und eine solch bezaubernde Frau. Ich rief an. Anrufbeantworter. Wie wir sie alle hassen. Aber besser, als nichts. Telefonnummer hinterlassen. Sie ruft sowieso nicht zurück. Sie rief am frühen Abend an. Ich schwebte bereits auf irgendwelchen Wolken. Das war, das habe ich bald gespürt, nicht nur die Frau meines Lebens, das war die erste lesbische Frau die ich persönlich treffen würde. Ich kannte damals keine lesbischen Frauen. Die Frauen die mit mir zusammen waren, hatten Ehemänner, oder heirateten später. Ja, die Konventionen. Aber sie war ja lesbisch. Kein Ehemann oder Freund drohte. Das Gespräch am Telefon wurde zu lang. Wir mussten uns sehen. Ich fuhr an einem verführerisch lauen Sommerabend in die uralte Universitätsstadt. Die Wirklichkeit übertraf die Erwartungen. Ich war den ganzen Abend lang unfähig, ihr in die Augen zu schauen, ich wäre auf der Stelle hingeschmolzen. Jede vorherige Beteuerung über das nicht Existieren einer Liebe auf der ersten Blick wurde über den Haufen geworfen. Eine Anzeige? Das kann doch nicht wahr sein. "Man sieht sich" sagte sie locker, als wir die Pizzeria verließen. Ich wusste nicht, dass das "lmA" heisst.


Zweiter Akt

Was versucht man nicht alles, um an sie heranzukommen? Wenn man nicht schlucken will, dass sie nicht nur "lmA" gesagt, sondern auch ehrlich und unwiderruflich gemeint hat. Mit der Zeit wird man allmählich zum Hofnarren. Das hat den eindeutigen Vorteil, dass man weder in der eigenen Wertschätzung, noch in ihren Augen weiter in die Tiefe rutschen kann. Nachfahren und feststellen: sie kann mich ja gar nicht lieben, sie ist ja wie ich, sie macht die Autotür für eine Frau auf. Nachfahren und statt ihrer, ihre Freundin in ihrem Auto antreffen. Entschuldigenden Brief faxen. Zum Mittagessen einladen und sich wie eine dumme Kuh anstellen. Zum Abendessen einladen und vergessen, dass mein Auto in einem Parkaus steht, das um zehn Abends zumacht. Ohne Auto ihr nachschauen, wie sie zu ihrem Wagen verschwindet. Ihre "one night stand" Bekannte (wenn überhaupt) als Freundin haben nur um in ihrer Nähe zu bleiben. Und die Bekannte (falls doch) fortlaufend beneiden. Blumen schicken. Durch die Weltgeschichte geistern und bei den Niagara-Fällen, in London, Paris, New York und auch am Kap der guten Hoffnung nur an sie denken. Und leben und leben lassen, auch wenn sie einen launischen Brief pro Jahr als belastend empfindet. Aber 364 Tage lang lassen. Der jährliche wehmütige Tag ist schon zu viel. Auch wenn man die Ruhe und die Gewissheit des Lebens findet irgendwann in diesen Jahren, der Schmerz bleibt. Die Ansprüche sind hinuntergeschraubt, die Gefühle eingeschläfert, nur der Schmerz bleibt. Und dann schreibt sie irgendwann: ich hätte Agressionen gegen sie. Wie könnte ich? Sie ist wohl der einzige Mensch auf dieser Erde, den ich auch dann nicht hassen könnte, wenn ich zum Hass überhaupt fähig wäre. Hass und Schmerz sind zwei Paar Schuhe. Und wenn sie glücklich ist, dann wünsche ich ihr alles Gute dazu. Aus ganzem Herzen. Nur, sie glaubt mir nicht. Sie hat mir noch nie geglaubt. Die Menschen, die mich kennen, gauben mir. Sie kennt mich nicht. "lmA" dachte sie immer. Der Schmerz bleibt.


Dritter Akt

Ihr Name wird von der Suchmaschine automatisch erkannt. Irgendwann mal ein Foto. Nicht mehr so jung, nicht mehr so knusprig, aber noch immer anziehend bedächtig. Wenigstens für mich. Ein Brief, eine Antwort. Es ist wieder "zu viel". Alles zu viel. Ich werde mich bis zu meinem letzten Atemzug fragen, was sie daran gehindert hat, einem Menschen die Möglichkeit zu geben, als Mensch zu agieren. Von mir aus nennen wir es altmodisch einfach hofieren. Mir zu sagen, was sie denkt, was sie wirklich denkt, nicht mit Ignoranz und Entzug strafen. (Wofür eigentlich?) Die Geschichte tausendmal von der anderen Seite aufgerollt. Wäre ich zu soetwas fähig? Mit gutem Gewissen: nein. Auch dann, wenn man keine Beziehung will, kann, mag, wenigstens die andere, als Menschen zu akzeptieren. Es gibt dafür genug Beispiele. Ist denn das so schwierig? Die Geschichte statt Fachmann von der dritten Seite aufgerollt. Klare Sache. Abschreiben, vergessen, eine lässige Handbewegung reicht. Dem Fachmann in mir schon. Es gibt einen Haken. Nicht der Fachmann, ich muss überzeugt sein, dass ich Unrecht hatte. Das es für sie tatsächlich nicht gut gewesen wäre, wenn ich sie auf Händen getragen hätte. Und ich lasse mich überzeugen. Jederzeit. Aber nur von ihr. Sie will mich aber nicht überzeugen. Weder pro, noch kontra. Ich finde ihre Eintragung bei Lesarion. Anonym anschreiben - der Hofnarr lässt grüssen - schnelle Antwort. Zu schnell. Schon wieder am Suchen? Ich suchte ja nur noch sie. Überall auf der Welt. Und ich traf sie irgendwann. Fast. Ich habe sie, in einem anderen Körper, in einer anderen Persönlichkeit. So wie sie sein müsste. So wie sie sein könnte. Das ist mit Sicherheit die bessere sie.



copyright © by wanis. Die Autorin gab mit der Veröffentlichung auf lesarion kund, dass dieses Werk Ihre eigene Kreation ist.





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